Begriffe wie Primärversorgungszentren, Primärversorgungsnetzwerke und -einheiten polarisieren die Ärzteschaft. Verglichen mit Hausarzt-Ordinationen seien PVZ rechtlich besser gestellt, sagen die einen. Die anderen hingegen meinen, PVZ seien die Antwort auf die Bedürfnisse einer neuen Ärztegeneration, die ihre Work-Life-Balance anders gestalten wollen als ihre Vorgänger. Die aktuelle Tendenz lässt den Schluss zu, dass die Standesvertretung in die von der Politik betriebene Entwicklung nicht bis wenig eingebunden ist. Ob das nur ein Verschulden der Politik ist, könnte hinterfragt werden.  

Zurückhaltung der Ärztekammer

Derzeit agiert die Spitze der Ärztekammer äußerst zurückhaltend wenn es um PVZ und deren Errichtung geht. Vielleicht auch, weil der Diskussionsprozess über die neuen Primärversorgungseinrichtungen innerhalb der Ärzteschaft noch heftig im Gange ist. 

Kein Interesse der Ärztekammer?

Der Vertreter einer deutsch-schweizerischen Investorengruppe beschwerte sich jüngst beim Autor dieser Zeilen, dass er die NÖ-Ärztekammer und ihren Präsidenten mehrfach kontaktiert hatte, jedoch keine Rückmeldung bekam. Man wollte über die Absicht, ein PVZ zu errichten, informieren, sich erkundigen, wie die Ärztekammer zu der Sache steht und ob man auf Unterstützung hoffen könne. 

Missverständnisse oder wenig Interesse der Kammer?

Die erste Kontaktaufnahme mit der Ärztkammer NÖ soll am 23. Juli stattgefunden haben. Es folgten Mails am 29. Juli an den Präsidenten und telefonische Anrufe in der Kammer. Eine erste schriftliche Rückmeldung in Form eines Mails erhielt der Investor am 17. August. Als Absender schien die Presse und Kommunikationsabteilung auf: Man werde das Anfrage-Mail an den Präsidenten „gerne weiterleiten“ und hoffe auf eine zeitnahe Antwort (durch diesen, Anm. d. Red.). In einem weiteren Mail wurde dem Investor seitens der Ärztekammer angeboten, auf seiner erwähnten Suche nach Ärzten für das PVZ, in der Ärztezeitung „Consilium“ zu schalten.

Ärztehaus ist kein PVZ

Man habe keine Anfrage bezüglich eines neuen PVZ in St. Pölten erhalten, heißt es auf Rückfrage beim Ärztekammerpräsidenten über einen Kurienvertreter. Betrachtet man den Schriftverkehr, stimmt das auch. Denn in den Anfragemails des Investors wird stets von einem Ärztehaus und einer Pflegeeinrichtung gesprochen. Die Behauptung des Investors, er habe in diversen Telefonaten mit der Ärztekammer stets von einem PVZ gesprochen, kann hier vorab nicht verifiziert werden.

Politik forciert PVZ in der Landeshauptstadt

Fakt ist, dass die Politik ein weiteres PVZ in St. Pölten unterstützt. Und zwar im nördlichen Stadtteil Viehofen bei der „Living City„. Eine dementsprechende Jubelmeldung verteilte die Presseabteilung der Stadt St. Pölten an sämtliche Medien, die darüber berichteten (siehe NÖN-Artikel hier). Mit einem Foto von Spitzenpolitiker, dem Investor sowie dem Besitzer der Liegenschaft und Betreiber der Living-City, einem Seniorenhaus mit „betreubarem Wohnen“ mit Dorfcharakter. Derzeit befindet man sich noch auf Suche nach Ärzten. Verhandlungen laufen mit Politik und der Österreichischer Gesundheitskasse (ÖGK). Seitens des Landes fehlt allerdings die offizielle Zustimmung zum Projekt. Sie erfolge erst, wenn die Einreichpläne vorliegen, heißt es. Das wollen die prospektiven Betreiber nicht abwarten. Die Innenausbauarbeiten im historischen Gebäude am Gelände der ehemaligen Spitzenfabrik sind bereits seit längerem im Gange. 

Politik lässt Ärztekammer außen vor

Zu beobachten ist, dass man seitens der Politik die Ärztekammer außen vorlässt. Die Chemie zwischen Politik und Gesundheitsverwaltung einerseits und der Ärztekammer andererseits dürfte dem Vernehmen nach nicht die beste sein und habe sich in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert. 

Zuwenig Mitsprache der Ärzteschaft?

Es ist daher damit zu rechnen, dass so manche Entwicklung in der Gesundheitsversorgung ihren Lauf nimmt – und zwar teilweise ohne Einbindung der Ärztekammer und ihrer Spitzenrepräsentanten. Das könnte sich mitunter auf die zukünftigen Arbeitsbedingungen neuer Ärztegenerationen auswirken.

HEUTE: Reibereien um PVZ

Die Tageszeitung „Heute“ berichtet diese Woche etwa über Reibereien um das geplante PVZ im Norden St. Pöltens, das zum bereits bestehenden im Süden bis 2023 errichtet werden soll. ARTIKEL HIER LESEN

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Fotos/Repro: Oben: Innenräumlichkeiten des ehemaligen Herrenhaus am Gelände der ehemaligen Seidenmanufaktur. Unten: Auszüge aus dem Schriftverkehr zwischen Investorgruppe und Ärztekammer, sowie das Herrenhaus in der Außenansicht. (W. Pelz)

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